Ihr habt es schon bemerkt – in letzter Zeit war es ruhiger in meinem Bella Amore Mio Italienblog. Das hat einige Gründe. Binnen kurzer Zeit konnte ich zwei meiner Italien-Romane bei Verlagen unterbringen. Und nach dem Motto “Alle guten Dinge sind drei” feiert heute die Leseprobe meines neuesten Venedig-Romans “Maskenball des Todes” auf meinem Blog Premiere!

Ja, es ist endlich soweit. Am 30. Januar 2021 erscheint mein Romantic Suspense als E-Book und Taschenbuch exklusiv bei Amazon. Die Idee zu diesem Buch entstand vor einigen Jahren bereits, aber bis es geschrieben und in der aktuellen Form vorlag, brauchte es noch Zeit. Ein Thema, das ihr bereits aus meinen Blogbeiträgen kennt. An Aktualität und Brisanz hat es nichts verloren, denn die Uneinigkeit über die Kreuzfahrtschiffe in Venedig ist nach wie vor ein heißes Eisen.

Romantic Suspense “Maskenball des Todes”

Überraschenderweise hat sich jedoch etwas anderes realisiert, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Genau, aufmerksame Leser nicken jetzt heftig. M.O.S.E ist aktiviert und der geneigte Leser möge mir verzeihen, dass ich diesen Wow-Effekt nicht mehr eingearbeitet habe. Aktuell bin ich bereits mit dem Verlagslektorat für meinen historischen Florenz-Roman für den Gmeiner Verlag ausgelastet und ein weiterer Verlag, der einen historischen Roman aus Venedig möchte, wartet auf ein zusätzliches Manuskript. Alles binnen einer Woche – und das in dieser belastenden Corona-Zeit.

Ich komme aus dem Feiern nicht mehr raus. Limoncello, Prosecco oder vino rosso? Hier kommt sie jetzt endlich, die versprochene Leseprobe zu meinem Venedig-Thriller “Maskenball des Todes”. Bereits vorbestellbar bei Amazon! Ab 30.1.2021 gibt es das Buch dann offiziell zu kaufen!

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Romantik pur. Meine Romanheldin Alessandra kennt Venedig auch anders …

Viel Vergnügen! Ich bin sicher nicht die Einzige, die sich danach sehnt, endlich wieder nach Venedig reisen zu können. Übrigens, der Roman “Maskenball des Todes” spielt zur Zeit des berühmten “Carnivale di Venezia”, der in diesem Jahr wohl anders verlaufen wird als gewohnt …

Leseprobe aus “Maskenball des Todes” von Manuela Tengler

Die Dienststelle der Serenissima, die Questera, war längst abgeschlossen. Aus dem kleinen Haus nahe der Piazzale Roma klangen weit nach Feierabend gedämpft Stimmen nach draußen. Dunkle Schatten tanzten hinter den verdunkelten Scheiben umher. Sie erinnerten an Figuren der Commedia dell`Arte. Guiseppe, der Dienstälteste der carabinieri, feierte seinen 60. Geburtstag im Kreise der Kollegen – und mit ihr, seiner einzigen weiblichen Kollegin. »Du schuldest mir einen Tanz, cara mia«, flüsterte er und streckte ihr die Hand entgegen.

Alessandra lächelte, während sie dem vertrauten Kollegen auf die imaginäre Tanzfläche folgte. Wie konnte sie diesem Mann, der alles für sie tat, einen Wunsch abschlagen? Zwischen Schreibtisch und Kaffeeautomat wiegte er sie sanft hin und her. »So tanzten wir schon einmal.«

Sie nickte, schmiegte den Kopf an Guiseppes Brust. Hundert Augen waren damals auf das attraktive Brautpaar gerichtet. Mit Paolo an ihrer Seite fühlte sie sich unverwundbar und stark. Gemeinsam trotzten sie den unregelmäßigen Dienstzeiten bei der venezianischen Polizei, die ihrer Liebe in den folgenden Jahren einiges abverlangen sollten.

Guiseppes Herzschlag beschleunigte sich. Auch er verlor sich in Erinnerungen und kämpfte wohl wie sie um die Fassung. Die Kugel zerstörte nicht nur Paolos Leben. Auch Guiseppes Leben wurde an diesem Tag ein anderes. »Paolo hätte dir eine solche Kalorienbombe von Torte nie geschenkt.« Sie spürte den unregelmäßigen Herzschlag des alten Mannes, seine Hand, die fester um ihre Taille griff. Ein Kloß steckte in ihrem Hals. »Nun schnell, geh zurück ans Buffet, bevor sie dir deine Geburtstagstorte wegessen.« Bevor sie beide endgültig die quälenden Erinnerungen überwältigen, strich sie über Guiseppes Rücken. Das blaue Diensthemd war zerknittert.

Sie lächelte. Der Witwer wäre verloren ohne sie, und sie ohne ihn. Stefano und Antonio, ihre Kollegen, lümmelten auf Guiseppes vollgeräumten Schreibtisch und feixten, wer von ihnen der bessere Tänzer wäre. Guiseppe löste sich aus der Umarmung und deutete ihnen ihr Talent zu beweisen. Mit unsicheren Schritten folgte er einer unhörbaren Musik und grinste, als Alessandra zum Ausgang deutete. Sie überließ die Männer ihrem eigenen Programm. Sie sprachen an diesem Tag nicht wie sonst über die neuesten Waffen, ihre Bambini oder den wachsenden Groll gegen unbezahlte Überstunden. Sie klärten heute Nacht keine Streiche venezianischer Jugendlicher auf, die auf der Piazzale Roma die Wände beschmierten oder mahnten Touristen wegen Bagatellen ab. Heute übertrumpften sich die betrunkenen Männer mit Plattitüden der Politik oder das Ausscheiden bei der Fußball-WM. Sie schimpften über ihre eifersüchtigen Frauen daheim, während sie ihren Ärger mit einem Grappa nach dem anderen hinunterspülten. Sie wollten feiern und Wetten abschließen, wer von ihnen die Nachfolge, Guiseppes Platz in der Questera, antrat.

Alessandra schüttelte den Kopf, als Guiseppe sie zu sich winkte. Sie brauchte dringend Sauerstoff. Der Gestank kubanischer Zigarren und der steigende Alkoholspiegel unter den Kollegen lockten sie ins Freie. »Männer, wirklich.« Eine milde Nacht erwartete sie in der Serenissima. Sie tippte auf das vertraute Gesicht am Display ihres Handys und lächelte, als sie die verschlafene Stimme hörte. »Ich weiß, du bist noch wach. Ich sehe Licht.« Das war eine glatte Lüge, aber bei einem achtjährigen Jungen funktionierte das blendend.

»Ein paar Minuten, mamma, bitte! Ich helfe dafür Nonna beim Einkauf, die ganze nächste Woche, versprochen!«

Funkstille. Ein Grinsen, das sie ohne Ton verstand. Aurelio verstand es, sie zu überzeugen. »Einverstanden. Ich bleibe noch eine halbe Stunde und bringe Guiseppe nach Hause, okay? Ich hab dich lieb, schlaf gut.«

»Buona notte mamma!« Schon brach die Verbindung ab.

Unschlüssig, ob sie zu dem ausgelassenen Männervolk dazu stoßen sollte, entschied sich Alessandra für die knallrote Bank vor der Dienststelle. Ein paar Minuten die in ihrem Leben rar gewordene Stille in der Serenissima genießen, die Alltagssorgen vergessen. Es ging nicht um die verspätete Weinlieferung für Guiseppe, den Dienstplan während Aurelios Schulferien. Endlich allein mit ihrem heimlichen Geliebten. Ihr geheimnisvoller Liebhaber, der spärlich beleuchtete Canal Grande, zog viele Jugendliche magisch an. Sie tanzten ausgelassen auf den fondamente der rivoletto und rii. Ihr schrilles Lachen schwappte über das Wasser und steckte an. Offenbar ertrugen die Männer die stickige Luft nicht länger.

Aus einem gekippten Fenster lauschte sie mit einem unterdrückten Grinsen Guiseppes Vorliebe für Verdis Opern, Antonios Bariton zu Gianna Nannini und Stefanos Lachen. »Ihr seid verrückt«, flüsterte sie. In diesem Moment war ihr die Polizei-Familie so nah wie niemals zuvor. Nach Paolos Tod waren Stefano und Antonio nicht anders mit ihr umgegangen als vorher. Sie hätte kein Mitleid, keine Vorzugsbehandlung ertragen und war dankbar, die plötzliche Leere in ihrem Leben mit Arbeit füllen zu können. Bis Guiseppe ein Machtwort gesprochen hatte. Sein Enkel hat seinen Vater verloren, das ist genug Schmerz für ein Kind. Ohne ein weiteres Wort passte er ihre Dienstpläne an, dass sie nach Schulschluss daheim war. Guiseppe, der wie sie Paolos Tod bis heute nicht verwunden hatte, aber ihr gegenüber tat er, als stünde er über allem und jedem.

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Verträumt blickte sie zur Seite. Sie liebte Venedig. Anfangs war es eine Hassliebe gewesen, aber nun konnte sie sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Hier war Aurelio geboren, hier erwarteten ihn Erinnerungen an seinen Vater. Ein paar Biegungen abwärts warfen die beleuchteten Säulen und Arkaden des Dogenpalastes gespenstische Schatten auf die Wände. Nur noch wenige Touristen schlenderten zu der späten Stunde durch die dunklen, engen Gassen im San Marco sestriere. Sie bewunderten die mit Scheinwerfern beleuchteten Pferde der Quadriga an der Westseite der Basilika San Marco, die bereit schienen, loszutraben. Die marmornen Statuen auf der Längsseite der Biblioteca Nazionale Marciana zeugten von der ruhmreichen Vergangenheit der venezianischen Seemacht. Unaufmerksame Besucher unterließen es sträflich, den auf den einst mühsam aufgestellten Säulen mit über vier Meter langen Löwen auf der Plattform ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Sie musste nicht auf der anderen Seite des Hafenbeckens stehen, um sich darüber wie Guiseppe und andere zu entrüsten. Wie viele Venezianer auch verurteilte sie, dass ihre Heimatstadt zu einem Vergnügungspark für Tagestouristen verkam. Die Schätze der einst reichen Seemacht des 14. Jahrhunderts fanden sich an unscheinbaren Orten. Sie waren allgegenwärtig, aber im 21. Jahrhundert zählten ein stabiler W-LAN-Empfang, getaktete Besichtigungen dank QR-Code und ein hastiges Selfie beim Carnivale di Venezia mehr. Grauenhaft, wie schamlos sich manche Besucher gebärdeten und sich ihnen die Schönheit verborgener Ecken oder Reliefs verschloss.

Ein Lichtstrahl aus der mit blauen Lettern ausgeschilderten Questera, dem Polizeipräsidium Venedigs, erhellte den Granitboden und schreckte sie jäh aus den Gedanken. Hastig trat sie aus dem Schatten eines ausrangierten Polizeibootes und wischte rasch die Tränen fort.

»Ist alles in Ordnung?« Guiseppes fülliger Körper warf deutliche Umrisse auf den Boden.

Ein Brummbär mit viel Herz, der mehr als nur ein Vorgesetzter war. Mit Paolos Tod vertiefte sich ihr Verhältnis. Vom trauernden Schwiegervater wandelte sich Guiseppe zu ihrem engsten Vertrauten. Er stand ihr in langen Nächten bei, in denen Aurelios Weinen ihr das Herz zerriss. Ihr Sohn sei viel zu jung, um das Schreckliche zu verstehen. Paolos vertraute Stimme, die den Jungen abends in den Schlaf sang, fehlte von einem Tag auf den anderen.

»Bene, ich komme gleich. – Wirklich, Guiseppe.«

Guiseppe blieb stehen und sah sie eindringlich an. Er traute ihr nicht. »Die Lagune stirbt nicht, wenn du eine Sekunde nicht auf sie achtest. Deine Kollegen hingegen kommen morgen nicht zur Arbeit, wenn du mir nicht hilfst, sie aus dem Büro zu jagen. Es dauert nicht mehr lange, bis du deinen Kontrollzwang ohne mein Einwirken ausleben wirst.«

Mit gespielt grimmigem Gesichtsausdruck eilte sie mit Guiseppe als Verstärkung ins Dienstzimmer zurück. »Die Party ist vorbei, Jungs«, erklärte sie und wollte gerade das Radio abstellen, als ein Jingle eine Sondermeldung verkündete. »Seid still!« Hastig drehte sie am Lautstärkeregler.

»Noch ist unklar, wie viele Tote durch das Unglück des Kreuzfahrtschiffes der Reederei OCEANDREAMS tatsächlich an der italienischen Küste zu beklagen sind. Experten halten vorzeitige Spekulationen über den Unfallhergang für gefährlich. Sie warnen …«

»Mamma mia!« Antonio hatte den Fernseher eingeschalten. Bilder des in Havarie geratenen Luxusliners ließen die ausgelassene Stimmung im Dienstquartier der Questera verpuffen. Kameras von Hubschraubern, die über der Unglücksstelle kreisten, zeigten leblos auf der aufgepeitschten Wasserfläche treibende Körper, bunte Koffer und zerborstene Wrackteile. Ein kleines Rettungsboot trieb mit dem Kiel nach oben.

Langsam kehrte Leben in die betrunkenen Männer. »1240 Passagiere, doppelt so viel wie die Mannschaft«, meldete Giorgio tonlos, als er den Hörer aufgelegt hatte. Das schreckliche Ereignis löschte seine Trunkenheit mit einem Schlag.

Stefano nickte bestätigend und wedelte mit einem Fax. »Die Küstenwache ist auf dem Weg zur Unglücksstelle, aber die Lage des Schiffes sei unstabil. Wie viele Menschen betroffen sind, scheint derzeit unklar. Es herrscht pures Chaos.«

1240 Menschen, die sich auf eine Kreuzfahrt durch das Mittelmeer freuten, erlebten unvorstellbares Leid. Und niemand wusste Genaueres. Alessandra wartete angespannt auf aussagekräftigere Fakten, Informationen über mögliche Gründe für das Unglück, das in wenigen Minuten das Leben vieler dramatisch veränderte. Die Nachrichtenticker rund um die Welt überschlugen sich im Minutentakt mit Meldungen, während sich die Pressemeldungen der Reederei auf den möglichen Schaden des Schiffes konzentrierten.

Der human factor wurde ausgeklammert. Vonseiten der Reederei hieß es, man sei bestürzt und versuche alles, um die Angehörigen rasch zu informieren. Die eingerichteten Hotlines brachen angesichts der vielen Anrufe verzweifelter Angehöriger nach wenigen Minuten zusammen. Alessandra verfolgte die einströmenden Nachrichten mit wachsendem Entsetzen. Sie konnte sich nicht vom Bildschirm losreißen, obwohl ihr das Schicksal der Menschen viel zu sehr naheging.

Heute gelang es ihr nicht, Job und Gefühle zu trennen. Für die Eltern, Ehepartner, Kinder und Freunde jener Menschen an Bord des Schiffes war die Ungewissheit unerträglich. Vor Tagen verabschiedeten sich die aufgeregten Kreuzfahrer mit einem glücklichen Lächeln und Vorfreude auf eine Traumreise ins Glück. Niemand kalkulierte in einem solchen Moment die Kosten einer Bergung, wenn es um Menschenleben ging, dachte an mögliche Abwrackzahlen oder gar Entschädigungszahlungen.

Offenbar befand sich bereits das Fernsehteam eines lokalen Senders an der Unglücksstelle. Hinter einer jungen Reporterin, die mit ihren Kollegen in dem kleinen Hafen ein provisorisches Mediencenter bezogen hatte, kauerten gerettete Passagiere des Schiffes auf notdürftig aufgestellten Feldbetten. Sie starrten teilnahmslos vor sich hin. Begriffen sie die Tragweite des Unglücks? Viele hüllten sich in Decken und versuchten verstört, den erbarmungslosen Kameralinsen auszuweichen.

Abgehacktes Weinen, verzweifelte Rufe nach den Liebsten, die noch immer als vermisst galten, brachten die leiderfahrenen Männer der italienischen Küstenwache zum Verstummen. Hektische Kamerabewegungen, das Meer schwankte – oder war es die Kamera, die unter dem Grauen des Gezeigten erbebte? Die junge Frau trat in einem unschuldig wirkenden weißen Kleid vor die Kamera. Carlotta Neri. Der Einspieler machte den Namen der bisher unbekannten TV-Reporterin schlagartig bekannt. Der Wind riss an ihren glänzenden Haaren, während sich Neri mit einem kurzen Blick auf die Unglücksstelle unweit des Festlandes zu vergewissern schien, dass es stimmte. Das war kein Blockbuster aus Hollywood, sondern live. Europa. Italien.

Schon mehrfach gab es Zwischenfälle mit Kreuzfahrtschiffen auf der ganzen Welt. Seitens der Reedereien fand man stets nachvollziehbare Gründe für die Unglücke. Unbekannte Strömungen, plötzlich aufkommender Wind, ein defektes Bugstrahlruder. Man zahlte horrende Summen, um negatives Material nicht nach außen dringen zu lassen. Viel Geld floss. Man entschädigte die Passagiere mit der Übernahme entstandener Unkosten und lockte mit fulminanten Rabatten für die nächste Kreuzfahrt. Es gab so vieles, das angesichts von Abertausenden Tonnen Stahl binnen Minuten zu einer tödlichen Gefahr werden konnte.

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Wurde man als Passagier auf Sicherheitsmängel hingewiesen, darauf, dass die Karabiner und Seile der an Deck verstauten Rettungsinseln verrostet waren? Vage erinnerte sich Alessandra an einen Techniker, den sie bei einem Zwischenfall im Guidecca Kanal im Hafen kennengelernt hatte. Selbst er bestätigte, es könne kein Restrisiko in Aussage gestellt werden. Das wäre so fahrlässig wie die Aussage, die Titanic wäre unsinkbar.

»… technisches Versagen wird derzeit nicht ausgeschlossen …« Die junge Reporterin suchte nach den passenden Worten, um den Zuschauern in ihren warmen Wohnzimmern fern des Unglücksortes das Ausmaß dieser Tragödie zu verdeutlichen. Sie bemühte sich, die schrecklichen Nachrichten mit viel Herz zu vermitteln und kämpfte selbst mit den Tränen, bis die Kamera auf einen tropfnassen Teddybären zoomte. Neri schien nicht so sensationslüstern wie ihre Kollegen zu sein. Sie winkte hektisch in die Kamera.

Das harte Business des Journalismus forderte an diesem Tag genügend Opfer. War Neri resolut genug, sich zu behaupten? Inzwischen trafen weitere TV-Sender ein und berichten nun ebenfalls live vor Ort. Unerbittlich hielten sie verzweifelten Überlebenden das Mikrofon vor die Nase, zoomten mit ihren Kameralinsen auf rot unterlaufene Augen auf traumatisierte Kinder. Quote zählte, Tragödien pushten, perfetto. Je größer das Leid, desto höher die Zuschauerzahlen.

Alessandra schauderte vor Entsetzen, während Stefano sich durch die Kanäle zappte. Jeder größere Sender unterbrach das Programm und hielt die Zuschauer mit einem eingeblendeten Liveticker auf dem Laufenden. Bekannte Gesichter aus den Nachrichten und der Politik verkündeten ihre Anteilnahme. Das Gesicht mit einem Wimpernschlag auf »Unser aufrichtiges Beileid« getrimmt. Carlotta Neri dagegen überforderte die grauenhafte Situation. Ihre Augen waren gerötet, fieberhaft glitt ihr Blick aus dem Fokus des Kameramannes. Eine Familie verließ eben einen Rettungswagen. Das Gesicht verquollen von Tränen umklammerte die Mutter die Hand ihres Mannes, während dieser fassungslos auf den Unglücksort zurückblickte. Seine Hand zitterte, während er auf das – vor Stunden noch hell erleuchtete – Kreuzfahrtschiff zeigte. »Mein Sohn«, stammelte er und packte einen Sanitäter an seiner Jacke. »Sie werden ihn finden, nicht wahr? Mein Sohn ist auf diesem Schiff, retten Sie ihn.« Die Kamera näherte sich dem Familienvater.

Plötzlich erschien Neri im Bild. Mit hektischen Bewegungen drängte sie den Kameramann ab und blieb neben dem traumatisierten Mann stehen. Der Mann taumelte, sank auf den Boden und lag teilnahmslos auf dem Boden. Die Kamera schwenkte weiter, folgte überforderten Mitarbeitern des Roten Kreuzes. Sanitäter verteilten hektisch Wasserflaschen, die sie aus lächerlich bunten Plastikkörben zogen, die in dieser Situation wie blanker Hohn wirkten. Es war zu bunt dort. Zu laut. Zu schrecklich. Zu unrealistisch. Schalt weiter, wollte sie Stefano bitten, aber alle in der Dienststelle waren zu geschockt. Niemand konnte den Blick von den unbegreiflichen Bildern lösen.

Alessandra schüttelte benommen den Kopf. Die Katastrophe passierte sich nicht weit entfernt von Venedig, wenn sie die kaum lesbare Karte, die der Sender in diesem Moment einblendete, korrekt erkannte. Kaum auszudenken, wenn diese Katastrophe hier –

»Alessandra, dein Handy läutet«, bemerkte Guiseppe und drückte sanft ihren Arm. »Die armen Familien. Da freut man sich auf eine Kreuzfahrt und spart, um dann so zu enden? – Unfassbar, was für eine Tragödie!«

Sie nickte fassungslos. Ein Blick aufs Display verriet den Anruf ihrer Mutter. »Was ist denn schon wieder? Du hast mich doch erst vorgestern …« Nach einem kurzen Zögern drückte sie den Anruf weg und starrte wieder auf den Bildschirm. Wie ein Mahnmal ragte der Bug des einst so imposanten Schiffes von fast 300 Metern Länge aus dem Meer. Was geschah an Bord, wenn sich Hunderte Menschen panisch und mit letzter Kraft über Bord zu retten versuchten? Noch immer harrten Dutzende Menschen auf dem Schiff aus. Frauen in eleganten Abendkleidern versuchten, ans andere Ende des Schiffes zu kommen. Wie von ihren Schnüren befreite Marionetten taumelten sie umher.

Das Captainsdinner war wahrhaftig ein unvergessliches Ereignis. Die sorgfältig hochgesteckten Dutte hingen herab, verdeckten panisch große Augen. Schrille Stimmen gellten über die Decks, als das Schiff sich mit einem Ruck auf die Seite neigte. Um Hilfe rufende Menschen rutschten auf dem schiefer werdenden Deck ab, ihre Körper wurden brutal gegen die Reling geschleudert. Die ersten Live-Aufnahmen auf RAI Uno und anderen Sendern von der Amaryllis of the Ocean trieben Alessandra Tränen in die Augen. »Sie springen!« Sie schrie entsetzt auf, packte Guiseppes Arm. »Das ist doch Irrsinn. Wie hoch ist so ein Schiff?«

»40, 50 Meter?« Antonio stand neben ihr. »Das wäre Selbstmord. Es gibt keine Chance zu überleben.«

Wieder nickte sie. Stumm vor Entsetzen. Wie verzweifelt musste dieser Mann in seinem schwarzen Anzug sein, der versuchte, sich mit einem Sprung ins kalte Wasser zu retten? Er klammerte sich an die Reling und versuchte hochzusteigen. Sie meinte, seine Angst zu spüren. Es war sein Puls, der ihr Herz in einen gefährlichen Rhythmus versetzte, seine Angst, die ihr den Atem raubte. Dann ertönte ein schauriges Geräusch über die eben noch taghell beleuchteten Decks des Kreuzfahrtschiffes. Ein Teil des Schiffes schwand jäh in der Schwärze des Meeres.

»Mio dio! Das Schiff bricht auseinander wie die Titanic! Das ist nicht möglich. Da sind noch Menschen …« In Guiseppes Gesicht war die Bräune eines leidenschaftlichen Seglers einem bleichen Ton gewichen.

Wieder läutete ihr Handy. Abgelenkt nahm Alessandra das Gespräch an. »Mamma, es ist etwas Schreckliches passiert. Du … Wo bist du? Es dröhnt markerschütternd …« Sie sah die Bilder, die surreal mit den Geräuschen im Fernsehen harmonierten. Spürte den viel zitierten Flügelschlag des Schmetterlings auf der anderen Seite der Welt. Dann katapultierte die brutale Wirklichkeit sie in derselben Sekunde in ihr eigenes Schicksal. Hörte sie nicht das unmenschliche Stöhnen und Weinen ihrer Mutter, während sich das Schiff mit einem überraschend sanften Ruck weiter zur Seite neigte? Hörte sie den kollektiven Aufschrei der Menschen, die auf dem Schiff ausharrten und vergeblich um Hilfe schrien – aus ihrem Handy.

»Mamma?« Ihre Lippen zitterten, Tränen verschleierten ihren Blick. Sie griff ins Leere. Taumelte. Ihre Ohren vibrierten. »Mamma

»Ich liebe dich, principessa, hörst du. Gib Aurelio einen Kuss von seiner Nonna.« Die letzten Worte ihrer Mutter gingen in dem unheilvollen Krächzen und Kreischen von blankem Stahl unter. Den Ton der schrecklichen Ouvertüre erbarmungslos im Ohr, lieferten die dramatischen Bilder die noch schrecklichere Gewissheit. Ihre Mutter war dem Tod ausgeliefert. Teile des Oberdecks gaben unter dem Druck nach. Die stählernen Streben barsten wie morsches Holz und begruben alles unter sich. Die Erschütterung, einem Erdbeben gleich breitete sich über den gesamten Schiffsbau aus und zog ringförmige Kreise um das Schiff.

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In diesem Moment gellte ein morbider Schrei in Alessandras Ohren. Sie hielt sich die Ohren zu, erschrak über die verzweifelte Kraft dieser Stimme, ihrer eigenen Stimme, die ihr gleichzeitig versagte, um Guiseppe zu rufen. Es erschien ihr wie Erlösung, als sich alles schwarz färbte und sie im Kreis ihrer Kollegen zusammenbrach.

Kapitel 1

Sie bahnen sich unbarmherzig einen Weg, um zu zerstören. Sie rafften weit weniger Menschen dahin wie bei der Pest, töteten langsam und qualvoll. Todesengeln gleich tanzen dunkle Rußpartikel grazil über deinem Kopf, dringen in deine Lunge und warten dort geduldig auf deinen Tod. Dieses Unglück kann jeder sehen, aber niemand tut etwas, um es aufzuhalten. La morte è vicina. Der Tod ist nah.

Tränenblind sah Alessandra von ihrem Notizbuch auf. Sie rang nach Atem und brauchte ein paar Sekunden, um ins Jetzt zurückzufinden. Wie so oft in den letzten fünf Jahren versank sie an manchen Tagen in eine tiefe Trauer, die sie vor Aurelio verbergen musste. Sie las in seinen Augen, wie besorgt er war. Der kleine Mann, der seinen Vater würdig vertreten wollte. Vergeblich versuchte sie bis heute diese unheilvolle Welt aus Profitgier, wirtschaftlichen Interessen skrupelloser Stakeholder zu verstehen. Akribisch suchte sie seitdem nach der Wahrheit hinter all den Lügen und Ungereimtheiten, die diese schreckliche Schiffskatastrophe ausgelöst hatte. Einem Sumpf gleich, der sie tiefer und tiefer hinabzog, ohne dass sie sich wehren konnte, wiederholte sie immer wieder die Fakten.

Mit lautem Knall klappte sie das vollgeschriebene Buch zu. Nach vorne sehen lautete die Devise. Das musste sie Guiseppe versprechen. Sie musste endlich aufhören, nach einem Schuldigen zu suchen. Zu viel stand für manche auf dem Spiel, um ein Opfer auf die Schlachtbank führen zu wollen, dessen Blut niemand auf sich schütten wollte. Es ging um viel Geld. Vor allem um Macht und die Gewissheit, den ungebrochenen Trend mit noch größeren Kreuzfahrtschiffen von Venedig oder Genua aus in See zu stechen. Jeden Tag kämpfte sie sich von Neuem ins Leben zurück, suchte nach einem Weg, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen, Aurelio zuliebe. Jedes Schiff, das in die Lagune einfuhr, zerriss ihre Hoffnungen wie die Rußpartikel die Lungen ihrer Freunde und Nachbarn.

Unheilschwanger färbte sich der Himmel über der Lagune tiefrot, dann pestschwarz. Wie dunkle Dämonen tauchten die Kreuzfahrtschiffe auf, drangen ungebeten in die Idylle der Serenissima ein und setzten sich über das Leben anderer hinweg. Getrieben von Neugier, unstillbarer Gier nach Profit warfen sie unheilverkündende Schatten auf die bröckelnden Mauern und Hausfassaden der Serenissima. Verdunkelten das Licht in den Palazzi am Canal Grande beim Einlaufen. Verdrängten Tonnen von Wasser, dass die Boote in den Seitenkanälen gut 20 Zentimeter höher lagen. Frästen sich mit riesigen Bugstrahlrudern durch die seichte Lagune. Töteten unbewusst in jeder Sekunde, die das Dröhnen der Motoren tief in das kollektive Bewusstsein von Meeresbewohnern, Fundamenten und Venezianern drang. Sie waren alle längst dem Untergang geweiht! Es gab kein Entrinnen mehr. Bis es unmittelbar in der Serenissima zur Katastrophe kam, war es nur eine Frage der Zeit. Es war unvermeidbar.

Alessandra schauderte. Jedes Mal, wenn die Schlepper ein Kreuzfahrtschiff in die Lagune zog, wurde ihr bewusst, was für eine schreckliche Zeitbombe an ihr vorbeifuhr. Seit dem Morgengrauen kauerte sie am Kai auf der kleinen Insel San Giorgio, abseits des Touristenrummels im San Marco Sestriere. Auf San Giorgio und dem Canale della Guidecca ging es beschaulicher, stiller zu. Die Touristen eroberten den Campanile des kleinen Eilandes nur, um das atemberaubende Panorama auf den Markusplatz gegenüber zu erleben. Sie knipsten hastig ein paar Selfies vor der Kirche, bis das nächste Vaporetto kam und sie von dem verschlafenen Eiland rettete.

Vor dem Palazzo Ducale versammelte sich in den frühen Vormittagsstunden eine dichte Menschentraube, die sich das Spektakel eines einlaufenden Ozeangiganten nicht entgehen ließ. Alessandra glaubte begeisterte Rufe, aber auch Schreie der Entrüstung zu hören. Oh ja, sie wusste, wie klein und unbedeutend, wie ungeschützt man sich auf der anderen Seite des Markusbeckens fühlte. Der Boden vibrierte. Nur leicht, kaum spürbar angesichts der Menschenmassen, die zu Hunderten, gar Tausenden täglich über den unebenen Platz wogten.

Die regelmäßigen Erschütterungen von Schiffen, Menschen und Wasserbussen bildeten Risse auf dem Pflaster der Piazzetta. Teile der Fundamente, die den Kai, den Canal Grande sowie die vielen ri säumten, gaben dem ständigen Ein- und Auslaufen des vermehrt salzigen Lagunenwassers nach. Das allein zeigte doch deutlich, überlegte Alessandra, dass nicht allein die Umweltverschmutzung ihren Tribut forderte. Experten versuchten seit Jahren, die Bevölkerung und die Regierung aufzuklären, woher diese Verwerfungen kamen. In tieferen Bereichen richteten sie weitaus größeren Schaden an, unsichtbaren Schaden. Manche der Campanile neigten sich bedenklich zur Seite und boten den Besuchern pittoreske Aufnahmen. Sollte Venedig als die Stadt der schiefen Türme neue Geschichte schreiben?

Die nahe stehenden Häuser harrten würdevoll aus und hielten auf den ersten Blick dem schädigenden Einfluss von Motoren und verheerenden Schadstoffemissionen stand. Es gab belegbare Zahlen, anerkannte Studien und medizinische Gutachten, dass die Zahl der Krebserkrankungen in Venedig deutlich gestiegen war. Zahlen, die bei den Reedern, den großen Playern in der Politik und Konzernen auf Desinteresse stießen. Die steigenden Buchungszahlen und Vorbestellungen neuer Schiffe hingegen, die profitable Gewinne brachten, bevor sie noch Wasser unter dem gigantischen Kiel verspürten, waren vorrangiger.

Die Kälte des nahenden Herbstes spürend, trotzte Alessandra ihrem Wunsch, dem verhassten Schiff den Rücken zu kehren. Stattdessen blieb sie, kauerte vor dem blendend weiß gestrichenen Leuchtturm der Insel und biss sich auf die Lippen, um nicht ihren Zorn hinauszuschreien. Sie schmeckte Blut.

Die Kälte fraß sich tiefer unter ihre Jacke, aber sie konnte sich von dem schrecklichen Anblick nicht lösen.

Jede Passage zog sie magisch an: Erfüllt von Angst, was passieren könnte, wenn niemand kontrollierte und gleichzeitig mit einem Hoffnungsschimmer, diesem ignoranten Treiben irgendwann ein Ende zu setzen.

War sie denn wirklich die Einzige, die erkannte, wie gefährlich es war, diesen Ungetümen nicht die Zufahrt zu entsagen?

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Eine junge Polizistin gegen …

DER Venedig-Thriller – Buchpremiere am 30.1.2021!

Auch die Kreuzfahrtindustrie ist in diesen Zeiten gefordert, kämpft ums Überleben – wie Venedig und seine Bewohner. Dieses Buch “Maskenball des Todes” ist auch den tapferen Umweltaktivisten von NO GRANDE NAVI gewidmet, die seit Jahren wie gegen Windmühlen gegen die Durchfahrten dieser Ozeanriesen kämpfen!

Ich hoffe, ihr stoßt mit mir auf meinen neuen Venedig-Roman “Maskenball des Todes” an. Mit Aperol sprizz, Limoncello, Grappa oder Sekt, egal was! Lasst uns feiern und diesen Augenblick genießen, von unseren schönsten Momenten in Italien träumen und hoffen, dass wir bald wieder dort sind! Bis dahin – Buona settimana!

Ciao Manu
Autorin und Bloggerin aus Leidenschaft, die Euch gerne auf ihren Recherche-Reisen quer durch Italien mitnimmt!