Vor wenigen Monaten klagten die Venezianer über ein Zuviel an Touristen, Müll und Kreuzfahrtschiffen. Venedig vs. Corona zeigt unverhofft die dramatische Kehrseite. Rund 75 Prozent der Venezianer arbeiten im Tourismus und verloren über Nacht quasi ihren Arbeitsplatz. In den Gassen Venedigs ist es still geworden.

Gerade in Italien gab und gibt es noch immer strikte Ausgangssperren, die vielen Venezianern die ohnehin belastende Situation nicht leichter machten. Venedig macht einsam. So könnte der neue Werbespruch lauten. Nicht verwunderlich. Gelten doch die Italiener als sehr kommunikatives Völkchen. Kennt jemand einen Italiener, der gern allein unterwegs ist? Ob in der famiglia oder im ufficio, man ist ständig im Gespräch, im Kontakt.

Einerseits bin ich fasziniert, die Serenissima so verlassen zu erleben. Zum Fotografieren natürlich ein Traum, aber natürlich kann man die extremen Bedingungen nicht verdrängen. Viele haben einige ihrer Liebsten verloren, denn Italiens Todeszahlen sind erschütternd. Dazu kommt die Ungewissheit, wie es mit dem Laden, der Familie und dem Tourismus weitergeht. In diesen Zeiten ist es schön, kleine Zeichen zu erkennen, die Grund für Hoffnung schenken und Freude bereiten.

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Abendstimmung in Venedig

Wenn die Gondeln Trauer tragen …

Die Gondeln werden voraussichtlich nur noch mit maximal vier Fahrgästen besetzt sein. Bisher fanden sechs Personen Platz. Auch hier könnte eine Fahrt mit dem Gondoliere in Zukunft noch teurer sein. Wer weiß, ob nicht der eine oder andere das Handtuch wirft? Ich mag gar nicht dran denken, wie weitreichend die Konsequenzen von Corona weltweit ihren Schatten werfen. Natürlich gilt auch für die Gondolieri Maskenpflicht. An heißen Tagen macht das sicher Spaß, arme Gondolieri.

Ich habe kürzlich mal mit einer Autorenkollegin gesprochen, ob wir in unseren Romanen diese Maskenthematik nun einpflegen sollten oder nicht. Ich habe mich vorerst dagegen entschieden und wehre mich auch vehement gegen Masken-Romantik – außer in Venedig vs. Corona!

Falls ihr Lust bekommen habt, meinen historischen Roman “Nebel über dem Canal Grande” aus Venedig zu lesen. Folgt meiner Heldin Isabella di Conti, die sich in einen der Glasbläser verliebt …

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Übrigens, jetzt sind elektronische Gondeln im Gespräch. Ich weiß nicht. Schlagt mich, Klischee hin oder her, aber auch ich mag mich vom Anblick der Gondoliere nicht trennen. Diese wehren sich bereits vehement dagegen. Allein die Lizenz für eine Saison kostet rund 100.000 Euro, von Generation zu Generation wird der Gondelbetrieb weitervererbt und ist mehr als nur ein Klischee Venedigs. Was meint ihr?

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Eine Gondelfahrt auf dem Canal Grande – für viele ein Muss

Tiere erobern die Lagune zurück

Sicher kennt ihr diverse Fotos von Delphinen, die angeblich nach Venedig zurückkehren. Manche der Fotos sind Fake, aber nicht alle. Tatsache ist, dass die Lagune sogar aus dem All deutlich reiner, heller wirkt. Klar, die vielen Kreuzfahrtschiffe, Taxiboote, Vaporetti und Privatyachten sorgten gemeinsam für eine große Belastung. Interessant werden die Satellitenaufnahmen in den kommenden Wochen. Kreuzfahrten dürften voraussichtlich bis Ende Juni gecancelt sein. Somit zeigt sich dann gut, ob das derzeit deutlich klarere Wasser länger bleibt, wenn “nur” Vaporetti und Taxis durch den berühmten Canal Grande fahren. Venedig vs. Corona hat also auch positive Folgen.

Die Venezianer freuen sich sichtlich und stellen viele Videos oder Fotos von den tierischen Überraschungsbesuchen ins Netz. Der Anblick von einem possierlichen Seepferdchen tut doch gut. Denkt man an Katzenvideos, die bei Demenzpatienten sichtlich für Entspannung sorgen!

Mit einer Sichtweite zwischen 50 bis 60 Zentimeter, teils sogar einen Meter, kann man in dem klareren Wasser natürlich auch mehr sehen. Quallen gab es schon immer, aber viele verendeten durch den steigenden Bootsverkehr in den Kanälen. Vor allem der rapide gesunkene Lärmpegel dürfte das Ökosystem Venedigs verändert haben. Wo sonst Millionen Menschen unterwegs sind, herrscht weitgehend Stille. Umso bemerkenswerter ist das Video einer Krake, die vor der Piazzale Roma gesichtet worden war.

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Ciao gabbiano!

Tourismus neu in Venedig vs. Corona

Wie es mit dem Tourismus in Venedig weitergeht? Das steht für viele Hoteliers und die Gondolieri an der Riva degli Schiavoni noch in den Sternen. Elf Millionen Touristen verbuchte die Serenissima 2019. Selbst wenn die Italiener aus dem Norden einen Ausflug nach Venedig machen, reicht das nicht, um die leeren Kassen zu füllen. Gäste wie du und ich aus dem Ausland sind verzweifelt erwünscht, aber solange die Grenzen dicht und die Ansteckungsrate bei Corona nicht zum Erliegen gebracht ist, besteht kaum Hoffnung, wieder ein Gelato am Markusplatz zu essen.

Venedig vs. Corona bedeutet auch später ungewohnte Einschnitte. Beim Fliegen braucht es wie am Flughafengelände die Maske, auch außerhalb des berühmten Karnevals. Im Hotel gibt es, zumindest ist das ein möglicher Plan, kein Frühstücksbuffet mehr, sondern eine Frühstückstasche. Die ausgedehnten Frühstücksorgien vor der Sightseeing-Tour gehören damit der Vergangenheit an.

Experten sehen aber auch ein positives Zeichen, denn airbnb wird diesen Standard an Hygiene, den Hotels erfüllen müssen, nicht gewährleisten können. Umgekehrt bedeutet das aber wohl auch, dass die Hotelpreise wieder ordentlich anziehen werden. Schließlich muss der Verdienstausfall in den vergangenen Wochen zumindest ansatzweise ausgeglichen werden.  

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Wenige Meter Platz zwischen den Fondamenti und dem Schiffsrumpf

Venedig vs. Corona zeigt Folgen bei Wirtschaft und Tourismus

Viele Menschen in Italien, in Venedig, sind verzweifelt und fordern ihren Arbeitsplatz zurück. So fanden sich kürzlich mehrere Dutzend Menschen auf der Rialto-Brücke ein. Kurzarbeit allein reicht nicht zum Überleben in der Lagune, wo allein der Transport aller Lebensmittel und Waren schon in Normalzeiten eine Herausforderung sein kann.

Zuccero spielt am Markusplatz auf

Zuccero, wohl einer der bekanntesten und beliebtesten Sänger Italiens, setzt sich auf seine Weise für Hoffnung ein. Er präsentierte seinen neuen Song “Amore Adesso” (Übersetzt: Liebe Jetzt!) auf der menschenleeren Piazza San Marco, wo sonst hunderte Touristen und Tauben den Platz überfluten.

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Der Künstler lud seine Fans ein, den Auftritt gerne in Videos nachzustellen. Im Link hier findet ihr das Original-Video zu Zucceros Auftritt. Beim Anblick des vertrauten Campanile muss ich schon schlucken. Mamma mia, mir fehlt Italien.

Es gab ja inzwischen viele Aktionen wie die Balkonkonzerte, Klatschorgien und vieles mehr, mit dem sich die Italiener Mut zusprechen wollten oder ihre Dankbarkeit zeigten an den übermenschlichen Einsatz vieler Ärzte, Pfleger und anderer Berufsgruppen, die gefordert waren.

Vaporettofahren und Museen

Seit Kurzem gibt es eine App für die Buchung einer Vaporetto-Fahrt. Bedeutet das gleichzeitig das Aus für die praktische Venice Card? Auch in den Museen macht es nun auch Sinn, seine Eintrittskarte vorab zu buchen. Das war bislang auch sehr praktisch, weil man dann ein Zeitfenster hatte und an den endlos langen Warteschlangen entspannt vorbeigehen konnte.

Angedacht sind möglicherweise auch Armbänder, die beim Unterschreiten des Mindestabstands elektronisch warnen. So steht den Touristen, die in den nächsten Monaten wieder in die Serenissima reisen möchten, ein ungewohntes Verhaltensmuster an. Wie sich diese geplanten Maßnahmen tatsächlich in die Praxis umsetzen lassen, bleibt abzuwarten. Wie hierzulande, wo bereits jetzt kaum jemand darauf achtet, Mindestabstand zu halten, fürchte ich, wird es auch in Venedigs Museen und den engen Gassen eine richtige Challenge werden.

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Chiesa di San Giorgio Maggiore

Ich genieße zur Feier des Tages ein Glas Limoncello und träume von meiner nächsten Italien-Reise. Kommenden Sonntag wäre es soweit gewesen … Venedig vs. Corona allerdings muss ich mich vorerst mit einem nicht authentischen Limoncello trösten, der garantiert noch nie eine Zitrone der Amalfiküste gesehen hat.

Wie denkt ihr über die neuesten Entwicklungen in Venedig? Habt ihr vor, die Serenissima zu besuchen? Und wie verändert sich euer Reisebewusstsein? Schreibt mir und teilt ihre Eindrücke gerne hier! Buona settimana!

Ciao Manu
Autorin und Bloggerin aus Leidenschaft, die Euch gerne auf ihren Recherche-Reisen quer durch Italien mitnimmt!